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«Als Tablette wäre Bewe­gung ein Wunder­mittel»

Genügend Bewegung verbessert nicht nur die Atem­effi­zienz, sondern beugt auch Herz-Kreis­lauf-Erkrank­un­gen, Demenz und psy­chischen Pro­blemen vor.

Körperliche Aktivität ist gesund. Wie gesund, erklärt Dr. med. Patrick Brun, Chefarzt Pulmonale, Internistische und Onkologische Rehabilitation im Berner Reha Zentrum in Heiligenschwendi, im Interview.

Was geschieht mit unserem Körper, wenn wir uns bewegen?

Patrick Brun: Sehr viel Positives. Dies belegte schon eine Studie aus dem Jahre 1953. Wissen­schaftler untersuchten die Lebens­erwar­tung von Buschauffeuren und Schaffnern der Londoner Verkehrs­betriebe. Es zeigte sich, dass die Bus­chauffeu­re früher starben – und der einzige signifikante Unterschied zwischen den beiden Gruppen war die Bewe­gung, welche die Schaffner bei der Ausübung ihres Berufes hatten. Heute ist erwiesen, dass körperliche Aktivität auf fast alle Organ­sys­teme eine positive Wirkung hat.

Zum Beispiel?

Allgemein bekannt ist, dass Bewegung den Muskelaufbau fördert und hilft, Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Daneben stärken sportliche Tätigkeiten das Immunsystem, verbessern die Knochendichte und regen die Verdauung an. Ebenfalls kann dadurch das Risiko für verschiedene Krebsarten wie Darm- und Brustkrebs, Demenz, Alters­diabetes, Schlaf­stö­run­gen und Depressionen gesenkt werden. Als Tablette wäre Bewegung ein Wunder­mittel. Leider hat die körperliche Aktivität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgenommen.

Was sind die Gründe?

Da die meisten von uns bei der Arbeit nicht mehr körperlich aktiv sind, bewegen wir uns nicht mehr gewohn­heits­mässig genügend. Dies führt dazu, dass Bewegungs­mangel neben dem Rauchen, hohem Blutdruck und zu hohem Blutzucker der viertgrösste Risiko­faktor für einen vorzeitigen Tod darstellt. Erfreulicher­weise hat die körperliche Aktivität in den letzten Jahren in der Schweiz etwas zugenommen gemäss einer Gesund­heits­befragung des Bundes­amtes für Statistik im Jahr 2017.

Wie viel Bewegung braucht es, um einen Effekt zu erzielen?

Bereits 30 Minuten leichte Aktivität pro Woche haben einen positiven Einfluss auf die Gesundheit. Ideal für Erwachsene wären jedoch zweieinhalb Stunden moderates Training pro Woche. Dabei ist es besser, mehrere kurze als ein oder zwei lange Einheiten durchzuführen.

Personen mit Lungen- und Atemwegserkrankungen meiden Bewegung häufig aus Angst vor Atemnot. Was lässt sich dagegen tun?

Tatsächlich ist das ein Teufelskreis, denn ohne körperliche Aktivität nehmen Kondition und Muskelkraft ab und Anstren­gungen führen noch schneller zu Atemnot. Folgen können soziale Isolation und teils auch Depressio­nen sein. Mit einer Rehabilita­tion durchbrechen wir diesen Teufelskreis: Ausdauer- und Kraft­training sowie die richtige Atem­technik helfen, die körperliche Leistungsfähigkeit zu steigern und das Selbstver­trauen zurückzubringen. Wichtig neben dem Training ist auch eine gezielte Schulung: Sie ermöglicht es den Betroffenen, mit ihrer Krankheit besser umzugehen und Langzeit­schäden vor­zubeugen, was eine Verbesse­rung der Lebens­qualität zur Folge hat.

Zahlen und Fakten:

  • Menschen, die weniger als 30 Minuten pro Woche Sport treiben, können ihr Sterberisiko durch eine Steigerung ihrer körperlichen Aktivität deutlich senken. Das gilt auch für Menschen, die älter als 65 Jahre alt sind.
  • Nicht nur mangelnde Bewegung, sondern auch ein sitzender Lebens­stil wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus. Schon kurze Bewegungspausen von 1 bis 5 Minuten Gehen jede Stunde haben positive Effekte.
  • Wer mehr als zwei Stunden pro Woche intensiv Sport treibt, kann das Risiko eines vorzeitigen Todes deutlich reduzieren gegenüber jemandem, der sich gar nicht bewegt.

Inwiefern ist körperliche Aktivität auch bei Schlaf­­apnoe-Betroff­e­nen wichtig?

Gemeinsam mit einer gesunden Ernährung ist die Bewe­gung ein Mittel, um das Gewicht zu reduzieren. Bei einem Teil der Schlafapnoe-Betroffen­en hilft das, die Symptome zu lindern. Obwohl eine vermehrte Aktivität keinen direkten Einfluss auf die Krank­heit hat, so profitieren Betroffe­ne trotzdem von den vielen anderen, bereits erwähn­ten, Vortei­len. Wichtig ist jedoch, dass das Training nach­haltig in den Alltag integriert wird.

Wie gelingt dies am besten?

Einigen Personen hilft es, wenn sie sich in der Gruppe bewegen. Die Gruppendynamik motiviert und manche reizt auch der Wettbewerbscharakter. Zudem lohnt es sich, verschiedene Sportarten auszuprobieren. Denn egal ob Joggen, Fussball, Fitness oder Spaziergänge mit dem Hund: Wenn die Aktivität Spass macht, fällt es viel leichter, sich anzustrengen.

Quellen: Coronary heart disease and physical activity of work. J.N. Morris, Lancet vol. 262, Issue 6796, pages 1111–1120. / Gesundheitsbefragung des Bundesamtes für Statistik 2017 zu körperlicher Aktivität und Gesundheit, publiziert 2019. / European Journal of Preventive Cardiology (15:239–246) 1.6.2008, Meta-analysis of prevention of cardiovascular mortality by regular physical activity. / «Sitzender Lebensstil beeinflusst Gesundheit negativ», Sport BASPO, Februar 2014.