Begegnung

Zum Znacht bei Fremden

Befindet sich die Welt nicht gerade im Aus­nahme­zustand, leben die COPD-Patientin Marianne Mutti und ihr Ehemann vier Monate pro Jahr auf Camping­plätzen. Dort haben sie schon einige gute Freunde gefunden.

Ein akustisches Signal zeigt an, dass eine Person der Video­konfe­renz beigetreten ist. Auf dem Bildschirm erscheint ein neues Fenster; eine ältere Frau mit kurz geschnitte­nen, grauen Haaren blickt konzen­triert in die Kamera. Als sie realisiert, dass die Verbin­dung steht, lehnt sie sich leicht zurück, auf ihrem Gesicht breitet sich ein Lächeln aus. «Ich bin Video­konfe­renzen noch nicht so gewöhnt», sagt Marianne Mutti, «aber es wird von Mal zu Mal besser.»

«Ich bin zufrieden»

Marianne Mutti leidet an der chronisch obstruktiven Lungen­krank­heit COPD. Vor gut acht Jahren, kurz nach ihrer frühzeitigen Pen­sionie­rung, bemerkte sie, dass sie auch bei geringen Anstrengun­gen zunehmend ausser Atem geriet. «Ich hatte zwar einige Jahre davor mit dem Rauchen aufgehört. Dennoch war für mich rasch klar, dass es da einen Zusammen­hang gibt», sagt Marianne Mutti. Seit nunmehr drei Jahren ist sie auf eine konstante Sauer­stoff­zufuhr angewiesen.

Die Lungenliga Solothurn unterstützte sie bei der Auswahl der Geräte und half ihr, die The­rapie in den Alltag zu integrie­ren. «Ich habe mich gut daran gewöhnt und kann trotz COPD eigentlich alles machen, was ich möchte. Ich bin zufrieden», sagt Marianne Mutti. Zudem schätzt sie die jährlichen Haus­besuche durch eine Beraterin. «Ich fühle mich sehr gut betreut, und wenn ich Fragen habe, kann ich mich jederzeit bei der Lungenliga melden.»

Virtuelles Angebot getestet

Auch vom Kursangebot der Lungenliga hat die Seniorin bereits Gebrauch gemacht. Nach einer Lungenentzündung im Jahr 2015 absolvierte sie ein Rehabilitationsprogramm für Menschen mit Lungenkrankheiten, die sogenannte pulmonale Reha­bilitation. Um die positive Wirkung aufrechtzuerhalten, besuchte sie anschliessend das Nach­folge­programm, auch diverse andere Kurse hat sie bereits gemacht. Als im Zuge der Corona-Pandemie und des Lockdowns in der Schweiz alle physis­chen Kurse abgesagt wurden, entschloss sich Marianne Mutti, das virtuelle Angebot der Lungenliga Solothurn auszu­probie­ren und meldete sich für den Kurs «Atmen und Bewegen» an. Bei der Ins­tallation der nötigen Software hätten sie die Lungenliga Solothurn sowie ihr Mann unterstützt. «Es klappte alles recht gut – bis auf einige Unterbrü­che. Denn hier oben ist die Verbin­dung nicht immer stabil», sagt Marianne Mutti und blickt sich um. Im Hintergrund sind die Holzpaneele der Dachschräge zu er­kennen, durch das Dach­fenster dringt gedämpftes Licht. Sie sei froh um das zusätzliche Angebot. «Gerade bei Regenwetter ist es mir recht, wenn etwas läuft, und der Kurs bringt mir viel. Aber ersetzen kann das virtuelle Treffen den direkten Kontakt nicht.»

Camper, Segelboot und Lastwagen

Ist der Alltag nicht von Corona bestimmt, sind soziale Kontakte nämlich ein essen­zieller Bestand­teil im Leben von Marianne Mutti und ihrem Mann Meinrad. Neben Besuchen bei Freunden und Verwand­ten ist es ihre grosse Leiden­schaft, die sie immer wieder auf neue Personen aus ganz Europa treffen lässt: das Campen. «Auf den Camping­plätzen herrscht eine ganz beson­dere Atmos­phäre. Es gibt weniger Hemmungen, fremde Leute anzu­sprechen», erzählt Marianne Mutti. 15 bis 17 Wochen sind die beiden pro Jahr mit dem Wohnmobil unter­wegs. Die Mecklen­burgische Seenplatte gefällt ihnen sehr gut, auch in Italien, Frankreich, Spanien, Portugal und Kroatien waren sie schon. Damit die Sauer­stoff­zufuhr auch in den Ferien sicherge­stellt ist, haben sie einen Spannungs­wandler in ihrem Fahrzeug eingebaut. Die­ser ermöglicht den Betrieb des stationären Sauer­stoff­konzen­trators sowie das Aufladen der Bat­terien für das portable Gerät. Dieses braucht Marianne Mutti, wenn sie und Meinrad Mutti tagsüber auf Wander­ungen oder auf dem E-Bike die Umgebung ent­decken.

Abends sitzen sie dann oft mit den neu gemachten Bekannt­schaften bei einem Imbiss oder einem Glas Wein zusammen. «Auf den Camping­plät­zen lädt man einander schnell einmal zu sich ein. So haben wir schon einige gute Freunde gefunden», sagt Marianne Mutti und es fällt leicht, ihr dies zu glauben. Wenn sie spricht, erzählt sie in einem ange­neh­men Tempo, ohne grosse Abschweif­ungen. Ihr Solothurner Dialekt mit den weichen «d» verleiht dem Gesagten einen wohligen Klang. Und sie hat viel Spannen­des zu berichten. Zum Beispiel, wie sie nach einer Lehre als Ver­käuferin die Last­wagen­prüfung absolvierte und während einiger Jahre für ein Bau­geschäft in Biel arbeitete – als einzige Frau weit und breit. Oder wie sie während zwanzig Jahren segelte, dann jedoch plötzlich Lust hatte, näher an die Leute zu gelan­gen, und das Segelboot gegen den Camper eintauschte.

«Fast ein bisschen genossen»

Dass die Corona-Pandemie die Ferien­pläne von Marianne und Meinrad Mutti etwas durch­einanderbringt, nehmen die beiden nicht tragisch. Sie seien diesen Frühling seit 13 Jahren das erste Mal zu Hause gewesen und während des Lockdowns hätten sie viel Zeit gehabt, um den Garten ihres Ein­familien­hauses auf Vorder­mann zu bringen und ihre geliebten Krimi­nalromane zu lesen. «Eigentlich habe ich diese Zeit fast ein bisschen ge­nossen», gesteht Marianne Mutti mit einem Augen­zwinkern.

Dennoch ist sie froh, wenn die Norma­lität wieder zurückkehrt und sich ihre sozialen Kontakte nicht mehr nur auf Telefon­ate und den Schwatz mit den Nach­barn über den Gartenzaun hinweg beschränken. «Ein Znacht mit Freunden, das Fahrrad­fahren und das beson­dere Gefühl der Freiheit beim Campen haben mir doch gefehlt.»

COPD

Auswurf, Husten und Atemnot sind typische Anzeichen der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). In der Schweiz sind rund 400'000 Menschen betroffen. Je früher sie erkannt wird, desto besser lässt sie sich behandeln.

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