Porträts

«Es hätte ja auch mich treffen können»

Die Diagnose, dass ihr Ehemann an COPD leidet, hat auch das Leben von Erika Steiner verändert. Wo sie kann, unterstützt sie ihn und versucht, der Krankheit nicht zu viel Platz einzuräumen.

«Kommen Sie herein, wir sind im dritten Stock», erklingt eine aufge­weckte Stimme aus der Gegensprech­anlage. Die zierliche Frau, die oben im Türrahmen wartet, passt gut zu der Stimme: Graue, kurz geschnittene Haare, wache Augen hinter einer roten Brille und ein Lachen, das einen unwillkürlich mitlächeln lässt.

«Kommen Sie herein», sagt Erika Steiner erneut und führt ins farbenfroh eingerichtete Wohnzimmer. Am Tisch sitzt ihr Ehemann Remo Steiner und liest Zeitung. Quer durch den Raum führt ein transparenter Schlauch, der in einer Nasenbrille in seinem Gesicht endet. Remo Steiner leidet an der chronisch obstruktiven Lungen­krank­heit COPD und ist auf Sauerstoff ange­wiesen. Mit der Diagnose vor sieben Jahren hat sich nicht nur sein Alltag verändert, sondern auch derjenige von Erika Steiner.

Spaziergänge statt Wander­ungen

Kennengelernt haben sich die beiden vor dreissig Jahren. «Ich tanze gerne, alleine macht es aber nicht so grossen Spass», erklärt Erika Steiner. Deshalb schaltete sie ein Inserat im Magazin «Tierwelt» – und Remo Steiner meldete sich. Zu den Tanzabenden gesellten sich schon bald ausgiebige Spaziergänge und zwei Jahre später zog Remo Steiner zu Erika nach Uster. 2007 folgte der Umzug nach Effretikon und seit 2013 wohnen sie nun in Pratteln. «Unsere Freizeit verbrachten wir meist in der Natur, auf Wanderungen oder beim Pilzesammeln», sagt Erika Steiner. Während sie erzählt, blättert Remo Steiner weiter in seiner Zeitung. Ab und zu wirft er eine Bemerkung ein. Die Pilze sind sein Stichwort. «Ich habe es gerochen, wenn irgendwo Pilze wuchsen. Einmal haben wir auf 1800 Metern über Meer die schönsten Steinpilze gefunden», erzählt er und gerät ins Schwärmen, bricht dann aber plötzlich ab: «Das können wir jetzt nicht mehr.»

Dass diese Zeit für das Ehepaar Steiner vorbei ist, scheint ihm mehr auszumachen als ihr. «Es war eine schöne Zeit, aber ihr nachzutrauern bringt nichts», sagt Erika Steiner pragmatisch und schüttelt dabei den Kopf, sodass ihre goldenen Ohrhänger hin und her baumeln. Diesen Pragma­tis­mus zeigt sie auch in anderen Situationen. «Ich versuche, so normal wie möglich zu leben. Ich lasse mich nicht von der Krankheit bestimmen.» So sind Erika und Remo Steiner nach wie vor häufig draussen anzutreffen. Statt der grossen Wanderungen sind es aber nun Spaziergänge und E-Bike-Touren, die sie unternehmen.

«Wir schauen, was möglich ist. Geht es nicht, kehren wir halt wieder um oder nehmen den Zug.» Öfter als früher ist die Erika Steiner jedoch auch alleine unterwegs. «Die ganze Situation braucht viel Energie. Bei einem Spaziergang in meinem eigenen Tempo und einem anschliessenden Kaffee kann ich gut den Kopf lüften und Kraft tanken. Das ist wichtig. Denn wenn es mir nicht gut geht, kann ich auch Remo nicht unterstützen.»

Bei Fragen hilft die Lungenliga

Bisher konnte der Remo Steiner jedoch stets auf die Unterstützung seiner Frau zählen: Sie war es, die den ehemaligen Sanitär­installateur vor sieben Jahren zu einem Arztbesuch nötigte, als er trotz der körperlichen Fitness immer mehr Mühe mit dem Atmen hatte. Sie informierte sich bei Ärzten und bei der Lungenliga über die Krankheit COPD. Sie meldete ihn für verschiedene Kurse und Schulungen der Lungenliga an und sprang ein, wenn er aus gesund­heitlichen Gründen nicht teilnehmen konnte. Sie fährt ihn zur Therapie, zum Arzt und zu anderen Terminen. Und sie versucht, stets optimistisch zu bleiben.

Ganz einfach sei dies nicht immer, gibt Erika Steiner unumwunden zu. So etwa Ende 2017, als sich Remo Steiners Gesundheits­zu­stand aufgrund eines Infekts stark verschlechterte und er noch mehr auf ihre Hilfe angewiesen war. «Ich musste ihn sogar beim Duschen unterstützen. Da stiess ich an meine Grenzen. Aber ich habe einfach funktioniert.»

In dieser Zeit habe sie umso mehr die Dienstleistungen der Lungenliga geschätzt. «Wir haben hier in Liestal ein aufgestelltes Team und zwei tolle Beraterinnen. Und wenn ich etwas nicht weiss, kann ich immer anrufen und fragen», sagt Erika Steiner mit einem Augenzwinkern und einem Seitenblick auf ihren Mann. Dieser reagiert auch prompt: «Du fragst viel zu viel. So genau will ich das jeweils nicht wissen. Ich weiss ja, was ich zu tun habe.» Einig ist er sich hingegen mit seiner Frau, dass ihm die Angebote der Lungenliga guttun. Schon zweimal haben die beiden an den Luftholtagen, den von der Lungenliga organisierten, begleiteten Gruppenreisen, teilgenommen und sind nach Italien ans Meer gefahren.

Auch verschiedene Kurse hat Remo Steiner besucht. Zuletzt die Patienten­schulung «Besser leben mit COPD», welche Betroffenen einen besseren Umgang mit der Krankheit vermittelt. «Wir haben einige gute Tipps erhalten», sagt Erika Steiner, die ihn begleitete und ihn vertrat, wenn er krankheitshalber passen musste. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen sei spannend gewesen. «Wir haben beschlossen, uns auch weiterhin einmal im Monat zu treffen», so Erika Steiner.

«Remo hätte dasselbe getan»

Auf die Frage, ob die Krankheit die Beziehung verändert habe, hält Erika Steiner kurz inne, ändert ihre Sitzposition, schenkt sich noch etwas Tee in die mit Blumen verzierte Tasse. «Man ist eher aufeinander angewiesen, das schweisst zusammen», antwortet sie dann. Zudem sei sie heute dankbarer und mit weniger zufrieden. Das Leben sei jedoch weniger planbar geworden. «An die Zukunft denke ich aus Prinzip nicht, sonst verschleisse ich mich. Der Krankheitsverlauf ist ohnehin sehr individuell und es kommt so oder so anders, als man denkt.» Infrage gestellt habe sie die Beziehung wegen der Erkrankung aber nie, betont Erika Steiner.

«Es hätte ja auch mich treffen können. Und dann hätte Remo dasselbe für mich getan.»